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Neuregelung der Vollverzinsung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 08.07.2021 entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen nach der Abgabenordnung (AO) mit jährlich 6 % für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2014 verfassungswidrig ist. Ausdrücklich ausgeschlossen wurden hierbei die Stundungs-, Hinterziehungs-, Aussetzungs- und Prozesszinsen. Säumniszuschläge sind ebenfalls hiervon nicht betroffen.
Inzwischen wurde per Änderungsgesetz die AO (hier § 238), die maßgeblich für die praktische Umsetzung ist, angepasst.
Zusammengefasst hat die Entscheidung des BVerfG in der Praxis folgende Auswirkungen:

Fortgeltung für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018
Nach der Entscheidung des BVerfG ist für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 das bisherige Recht weiter anwendbar (Fortgeltungsanordnung). Entsprechende zulässige Einsprüche gegen Zinsfestsetzungen für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 wurden bereits insoweit durch eine sog. Allgemeinverfügung vom 29.11.2021 erledigt.

Rückwirkende Neuregelung
Für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 wurde der Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.07.2022 eine rückwirkende Neuregelung der Vollverzinsung zu treffen. Diese Neuregelung ist am 22.07.2022 in Kraft getreten. Sie gilt für neue Zinsfestsetzungen für  Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 und ist auch rückwirkend in allen offenen Fällen anzuwenden (BMF-Schreiben vom 22. Juli 2022 – IV A 3 -S 1910/22/10040 :010 DOK 2022/0666774).
 
Auswirkung auf Zinssatz für Steuernachforderungen und -erstattungen
Durch das Änderungsgesetz wird u. a. der Zinssatz für Steuernachforderungen und Steuererstattungen für Verzinsungszeiträume ab dem 01.01.2019 auf 0,15 % pro Monat (1,8 % pro Jahr) gesenkt. In offenen Fällen mit Festsetzung von Erstattungszinsen gilt zugunsten der Bürgerinnen und Bürger Vertrauensschutz. Durch diese Vertrauensschutzregelung ergibt sich bei einer Neuberechnung der bisher festgesetzten Zinsen keine Änderung zuungunsten der Bürgerinnen und Bürger. Bei Mischfällen mit Nachzahlungs- und Erstattungszinsen wird die Vertrauensschutzregelung auf das Ergebnis der Neuberechnung angewendet.

Übergangsregelung aufgrund notwendiger technischer und organisatorischer Umstellungen
Die Steuerverwaltungen der Länder können die Neuberechnung der Zinsen in anhängigen
Verfahren und die Umstellung der Zinsberechnungsprogramme aufgrund der damit verbundenen erheblichen technischen und organisatorischen Auswirkungen allerdings nicht sofort nach Inkrafttreten der Neuregelungen ab dem 22.07.2022 umsetzen. Für eine Zwischenzeit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung geschaffen. Während dieser Übergangsphase können Festsetzungen von Nachzahlungs- bzw. Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 01.01.2019 weiterhin vorläufig ergehen oder ausgesetzt werden, um die Zinsfestsetzung später nachzuholen (BMF-Schreiben vom 22.07.2022 – IV A 3  – S 0338/19/10004 :007  DOK   2022/0668147).

Prüfung der Steuerkonten und rund 570.000 geänderte Zinsbescheide
Voraussichtlich im November 2022 wird die Finanzverwaltung Rheinland-Pfalz alle bei ihr geführten Steuerkonten hinsichtlich einer erforderlichen Anpassung der Zinsen an die neuen gesetzlichen Vorgaben maschinell überprüfen. In den noch offenen Zinsfällen werden ca. 570.000 geänderte Zinsbescheide erstellt und an die Bürgerinnen und Bürger übermittelt. Sofern ein solcher Änderungsbescheid zur Erledigung eines Zinseinspruchs führt, enthält der Bescheid einen entsprechenden Hinweis.
Zur reibungslosen Abwicklung dieser Aktion werden Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld ggf. um Mitteilung einer Bankverbindung gebeten, damit Zinsbeträge zielgerichtet erstattet werden können. Entsprechende Schreiben wurden bereits Anfang September 2022 versendet.